Im Gespräch

Dreifaches Jubiläum im Referat für Chancengerechtigkeit

Drei Frauen
Im Grunde optimistisch: Sulamith Hamra, Linda Steger und Simone Thomas (v. l.) haben gemeinsam mit ihren Teams noch viel vor.

Sie beraten, kämpfen, gestalten: Drei Stellen des städtischen Referats für Chancengerechtigkeit feiern in diesem Jahr Jubiläum. Mit dem Amtsblatt sprechen Simone Thomas von der Stelle zur Gleichberechtigung der Frau, Linda Steger von der Kontaktstelle Frau und Beruf und Sulamith Hamra von der Geschäftsstelle Diversity und Antidiskriminierung über Erfolge und Hürden – und darüber, ob ihre Arbeit eines Tages überflüssig sein könnte.

Amtsblatt: 40 Jahre Stelle zur Gleichberechtigung der Frau, 30 Jahre Kontaktstelle Frau und Beruf und 20 Jahre Geschäftsstelle Diversity & Antidiskriminierung, das macht insgesamt 90 Jahre Einsatz für Chancengerechtigkeit. Und doch scheinen wir noch weit von einer gerechten, diskriminierungsfreien Gesellschaft entfernt zu sein. Fühlt sich Ihr Beruf manchmal an wie Sisyphosarbeit?

Simone Thomas: „Ja und nein. Wie lange es dauert, bis Gleichberechtigung erreicht ist, ist eine spannende Frage. Laut dem Global Gender Gap Report vom Weltwirtschaftsforum braucht es aktuell noch 123 Jahre, bis die Parität erreicht ist – das heißt, es gibt noch viel zu tun. Gleichzeitig sieht man im Rückblick, dass wir in den letzten Jahrzehnten auch schon viel erreicht haben. Frauen haben seit über 100 Jahren das Wahlrecht, aber erst mit dem Gleichberechtigungsgesetz 1958 änderte sich einiges im Alltag. Frauen durften z. B. erst seit 1962 ein Konto ohne Zustimmung des Ehemanns eröffnen, und Vergewaltigung in der Ehe ist erst seit 1997 strafbar.“

Linda Steger: „Und frei entscheiden, ob sie erwerbstätig sein wollen oder nicht, konnten die Frauen auch erst 1977. Vorher konnte ihr Ehemann ihnen das einfach verbieten. Und heute sind etwa 75 Prozent der Frauen erwerbstätig – wobei viele von ihnen in Teilzeit arbeiten. Aus meiner Sicht gibt es immer noch sehr viel zu tun, bis Männer und Frauen gleichermaßen erwerbstätig sind und sich auch die Sorgearbeit aufteilen. Es gibt also Erfolge, aber es geht sehr langsam voran.“

Sulamith Hamra: „Ich bin da ein bisschen gespalten – wenn man vergleicht, wie damals und heute über Gleichberechtigung gesprochen wurde und wird, merkt man: Das Thema ist heute viel selbstverständlicher als damals. Trotzdem sehen wir in den aktuellen Debatten, dass immer wieder angegriffen wird, was wir uns an Rechten erkämpft haben. Das ist schon erschütternd.“

Amtsblatt: Frau Thomas, im vergangenen Jahr kam die Koordinierungsstelle zur Umsetzung der Istanbul-Konvention dazu. Wie hat sich Ihre Arbeit als Frauenbeauftragte gewandelt?

Thomas: „Vor 40 Jahren war es noch viel umstrittener, ob man die Frauenbeauftragte in interne Prozesse einbezieht. Jetzt ist das ganz selbstverständlich geworden. Ein Dauerthema ist der Gewaltschutz. Darauf habe ich auch bewusst den Schwerpunkt gesetzt, weil ich glaube, dass wir Gleichberechtigung niemals erreichen, wenn es nach wie vor so viel Gewalt gegen Frauen, Mädchen und vulnerable Gruppen gibt. Deshalb bin ich froh, dass der Schwerpunkt Gewaltschutz mit der neuen Koordinierungsstelle mehr Gewicht bekommen hat. Dass der Gemeinderat Gelder für die Umsetzung eines Aktionsplans bewilligt hat und wir eine große Spende der Mekriba Stiftung bekommen haben, ist eine tolle Chance.“

Amtsblatt: Wie ist der Status quo in der Stadtverwaltung, was Chancengerechtigkeit angeht?

Thomas: „Da ist viel passiert in den letzten Jahren, was den Anteil von Frauen angeht. Abgesehen von der Bürgermeisterbank haben wir auf den obersten beiden Führungsebenen genauso viele Frauen wie Männer. Noch recht traditionell ist es bei der Teilzeitarbeit. Die meisten Teilzeitkräfte und beurlaubten Arbeitskräfte in der Stadtverwaltung sind Frauen. Sie leisten nach wie vor die Haupterziehungsarbeit und nehmen deshalb mehr Elternzeit in Anspruch oder arbeiten in Teilzeit. Sehr vorbildlich ist die Stadtverwaltung in Bezug auf familienfreundliches Arbeiten.“

Amtsblatt: Frau Steger, wer nimmt Ihr Beratungsangebot am häufigsten in Anspruch?

Steger: „Ungefähr ein Drittel kommt wegen Fragen zur beruflichen Orientierung oder Umorientierung zu uns. Das sind oftmals Frauen im jüngeren Lebensalter mit kleinen Kindern, die ihre bisherige Tätigkeit nicht mehr so ausüben können wie bisher. Es kommen auch Frauen, die nach einer neuen Tätigkeit mit mehr Sinn suchen. Oder Frauen, die eine längere Krankheit hinter sich haben, und sich dann fragen, wie es weitergeht. Ein weiteres Drittel sind Migrantinnen, darunter auch Neuzugewanderte. Sie möchten zunächst den deutschen Arbeitsmarkt verstehen und klären, wie sie ihre im Ausland erworbene Qualifikation hier einbringen können. Für sie ist es wegen der doppelten Diskriminierung als Frau und als Migrantin häufig schwieriger, beruflich erfolgreich zu sein. Auch Gründerinnen mit Fragen zur Unternehmensgründung haben wir häufig bei uns.“

Amtsblatt: Mit welchen Sorgen kommen sie derzeit am häufigsten zu Ihnen?

Steger: „Die Frauen spüren, dass die Hürden im Arbeitsmarkt aufgrund ihrer weiblichen Rollenzuschreibung höher sind. Von ihnen wird häufig erwartet, dass sie sich um Haushalt und Familie kümmern. Daher ist es für viele schwierig, Sorgearbeit und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Und gerade in Familien ist es häufig so, dass die Frauen den Männern zum Geldverdienen den Rücken freihalten. Deshalb sind Frauen oft wirtschaftlich abhängig vom Mann. Wirklich frei agieren und gleichberechtigt auftreten können sie aber erst, wenn sie finanziell selbstbestimmt sind. Das hat auch Einfluss auf die Altersvorsorge, was sich viele Frauen nicht bewusst machen.“

Amtsblatt: Frau Hamra, was ist Diversity und wie hängt das mit Antidiskriminierung zusammen?

Hamra: „Diversity ist das englische Wort für Vielfalt. Zuerst geht es also darum, anzuerkennen und sichtbar zu machen, dass die Gesellschaft vielfältig ist, zum Beispiel was geschlechtliche Identität, sexuelle Orientierung, soziale und ethnische Herkunft, Zuwanderungserfahrungen, Behinderungen und Lebensalter angeht. Erst mal ist das ein neutraler Begriff, der das Bewusstsein dafür wecken soll, welche unterschiedlichen Aspekte eine Persönlichkeit prägen, und dass alle das Recht haben, sich entsprechend ihrer Bedürfnisse zu entfalten und respektiert zu werden. Wo das nicht der Fall ist, wo Menschen also diskriminiert werden, gilt es, Benachteiligungen im Sinne der Antidiskriminierung abzubauen.“

Amtsblatt: Was macht den Alltag in Ihrer Stelle aus?

Hamra: „Wir vernetzen Organisationen, die sich für den Abbau von Diskriminierung in Freiburg engagieren, aber vor allem arbeiten wir nach innen, in die Verwaltung hinein. Mit den unterschiedlichen Referaten und Dienststellen schauen wir auf ihre geplanten Maßnahmen und Konzepte. Wir fragen uns dann gemeinsam, ob sie die Stadtgesellschaft damit in ihrer Vielfalt erreichen. Zum Beispiel waren wir vor Kurzem mit dem Umweltschutzamt zu ihrem Projekt „Klimaquartier“ im Austausch. Dort haben wir überlegt, wie sie möglichst alle Bewohner­*innen im Quartier ansprechen und zum Mitmachen ermutigen können – statt nur die gut situierten Akademiker­*innen. Außerdem machen wir noch Fortbildungen, etwa zu Rassismus im Alltag oder anderen Formen von Diskriminierung und der Frage, was wir bei der Stadtverwaltung tun können, um das zu verhindern. Und wir kriegen immer wieder Anfragen von Mitarbeitenden, die sich in bestimmten Situationen unsicher fühlen – zum Beispiel, wenn es um die Ansprache einer Person geht, die sich nicht als weiblich und nicht als männlich definiert. Und es gibt die interne Beschwerdestelle, an die sich alle wenden können, die sich diskriminiert fühlen im Arbeitsalltag. Gemeinsam mit den Betroffenen sondieren wir, was vorgefallen ist und was die nächsten Schritte sein können.“

Amtsblatt: Eine Frage an alle: Hatten Sie in der Vergangenheit überraschend Erfolg in einer Sache?

Thomas: „Richtig glücklich bin ich über das Frauennachttaxi, für das es eine Mehrheit im Gemeinderat gegeben hat. Das ist ein hoher Kostenfaktor für die Stadt und gleichzeitig so viel wert, weil es viel Sicherheit gibt, für Frauen und Mädchen, die nachts in der Stadt unterwegs sind. Und auch der Aktionsplan zur Umsetzung der Istanbul-Konvention ist ein großer Schritt. Dafür haben wir Ressourcen zur Verfügung, mit denen wir auch was erreichen können.“

Steger: „Wir haben ein Mentorinnen-Programm für Migrantinnen, das auch immer für Überraschungen gut ist. Letztens hatten wir eine Frau bei uns, die ganz am Anfang stand und noch nicht mal eine eigene deutsche Telefonnummer hatte. Durch die Begleitung ihrer Mentorin ist ihr ein beruflicher Einstieg als Wissenschaftlerin in ihrem Fachgebiet gelungen. Das sind richtige Gänsehautmomente, wenn solche Rückmeldungen kommen.“

Hamra: „In den großen Strukturen ist das schon häufig zähe Verwaltungsarbeit, da was ins Rollen zu bringen. Für mich sind die kleinen Begegnungen im Alltag toll: Kolleg­*innen, die von sich aus aktiv werden wollen, die alle Gruppen mit einbeziehen wollen, und Menschen, die sich in der Stadtgesellschaft gegen Diskriminierung einsetzen. Ich sehe ganz viele sehr engagierte Menschen, und das macht Spaß.“

Amtsblatt: In welchen Themengebieten geht es Ihnen zu langsam? 

Thomas: „Deutschlandweit finde ich es unfassbar, dass 90 Prozent aller Bürgermeister Männer sind und nur 10 Prozent Frauen. Das sind die Positionen, die viel Einfluss haben und wichtige Entscheidungen fällen.“

Steger: „Viele Unternehmen tun sich immer noch schwer damit, Frauen als qualifizierte Arbeitskräfte zu erkennen und familienfreundliche Strukturen aufzubauen. Mir fehlt der Blick darauf, wie viel Potenzial hier in der Region und in Deutschland eigentlich liegt. Genauso beim Thema klischeefreie Berufswahl: Da tut sich noch zu wenig, finde ich. Dies alles trägt dazu bei, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts immer noch schlechter bezahlt werden als Männer.“

Hamra: „Wir brauchen mehr Strukturen für den Diskriminierungsfall. Es muss für alle klar sein, dass es eine Ansprechperson oder eine Stelle gibt, an die man sich wenden kann, wenn man Queerfeindlichkeit, Rassismus oder ähnliches erlebt. Das kann nicht sein, dass Fälle im Sand verlaufen, weil niemand so richtig weiß, wohin damit.“

Amtsblatt: Haben Sie die Hoffnung, dass das Thema Chancengerechtigkeit irgendwann „erledigt“ ist – also, dass das Referat überflüssig wird?

Thomas: „Als Optimistin glaube ich daran – sonst würde ich auch verrückt werden. Es gibt immer wieder Rückschläge, und man braucht eine hohe Frustrationstoleranz, aber die Vergangenheit zeigt eben auch, dass vieles schon erreicht wurde.“

Steger: „Diese Hoffnung teile ich, aber ich bin mir auch sicher, dass ich es nicht mehr erleben werde. Letztlich ist Geschlechtergerechtigkeit fragil, wie die Demokratie auch. Das Thema wird also nie erledigt sein, und droht auch derzeit zu kippen. Und deswegen müssen wir uns kontinuierlich dafür einsetzen, dass Fortschritte nicht rückgängig gemacht werden.“

Hamra: „Ich glaube nicht, dass es uns irgendwann nicht mehr brauchen wird. Zusammenleben in einer Gesellschaft ist ja ein Prozess, und das wird immer wieder neue Zugangsbarrieren mit sich bringen und Bevölkerungsgruppen, die Verwaltung und Politik nicht gut genug berücksichtigen. Ich sehe unsere Aufgabe darin, ein Bewusstsein für die unterschiedlichen Bedürfnisse benachteiligter Bevölkerungsgruppen zu vermitteln und gemeinsam dran zu arbeiten, dass alle zu ihrem Recht kommen und Teilhabe erfahren.“

Das Referat für Chancengerechtigkeit

Das Referat für Chancengerechtigkeit vereint drei Teams, die sich für Chancengerechtigkeit in vielfältigen Arbeitsbereichen einsetzen:

Stelle zur Gleichberechtigung der Frau

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“, heißt es in Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes. Das auf kommunaler Ebene umzusetzen, ist Aufgabe der Stelle zur Gleichberechtigung der Frau mit der Frauenbeauftragten. Dabei beziehen die derzeit vier Mitarbeiterinnen, die sich 2,5 Stellen teilen, alle Lebenslagen und -bereiche von Frauen und Mädchen mit ein.

Die Stelle zur Gleichberechtigung der Frau besteht seit 1985. Sie initiiert Projekte, vernetzt und fördert Akteur*innen innerhalb und außerhalb der Stadtverwaltung und organisiert Veranstaltungen und Tagungen. Alle Menschen können sich in Fragen der Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen an die Frauenbeauftragte wenden.

Weitere Infos unter www.freiburg.de/frauenbeauftragte.

Kontaktstelle Frau und Beruf Freiburg – Südlicher Oberrhein

Die Kontaktstelle Frau und Beruf wurde 1995 als städtische Einrichtung gegründet und wird vom baden-württembergischen Wirtschaftsministerium gefördert. Inzwischen deckt sie die Region Südlicher Oberrhein ab. Ziel ihrer Arbeit ist die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben. Die sieben Mitarbeiterinnen kooperieren mit Politik, Verwaltung, Betrieben und Weiterbildungsträgern, um bessere Rahmenbedingungen der Erwerbstätigkeit von Frauen zu erreichen.

Die Kontaktstelle Frau und Beruf ist Anlaufstelle für Frauen zu allen beruflichen Fragen. Zu ihren Angeboten gehören persönliche Beratung zu Wiedereinstieg, Neu- und Umorientierung, Aufstieg, Weiterbildung, Bewerbung, Stellensuche und Gründung. Zudem organisiert die Stelle Informationsveranstaltungen und Seminare, veröffentlicht Broschüren und unterstützt berufliche Netzwerke.

Weitere Infos unter www.freiburg.de/frauundberuf.

Geschäftsstelle Diversity & Antidiskriminierung

Mit der Unterzeichnung der Charta der Vielfalt hat sich die Stadtverwaltung Freiburg 2017 nochmals explizit zur Anerkennung von gesellschaftlicher Vielfalt und dem Abbau von Diskriminierung bekannt. Damit hat sie sich sowohl als Arbeitgeberin als auch als Dienstleisterin dazu verpflichtet, ein Umfeld zu schaffen, in dem alle Menschen Wertschätzung erfahren – unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Nationalität, sozialer oder ethnischer Herkunft, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexueller Orientierung oder Identität.

Die 2005 eingerichtete Geschäftsstelle vertritt die Stadtverwaltung in regionalen wie überregionalen Netzwerken. Das zweiköpfige Team fördert den Austausch und die Vernetzung städtischer und zivilgesellschaftlicher Akteur*innen in Freiburg, die sich gegen Diskriminierung jeder Art engagieren. 

Weitere Infos unter www.freiburg.de/diversity.

Dieser Artikel erschien im Amtsblatt Nr. 895 vom 27. September 2025. Wer auf dem Laufenden bleiben will, wird alle zwei Wochen per Newsletter über das neue Amtsblatt informiert. Jetzt anmelden!

Veröffentlicht am 01. Oktober 2025